Szenariotechniken

Einführung

Szenariotechniken sind Methoden, durch die verschiedene Zukunftsentwicklungen dargestellt und deren Eintrittswahrscheinlichkeit prognostiziert werden können. Szenariotechniken werden häufig im Krisenmanagement, Risikomanagement, Projektmanagement, der Personalplanung sowie Unternehmensentwicklung und dem Innovationsmanagement angewendet.[1] Sie können für Bibliotheken eine Art „Frühwarnsystem“ sein, mit der zukünftige Entwicklungen abgeschätzt werden können. In der Regel werden Extrem-Szenarien dargestellt. Dies bedeutet, dass sowohl ein möglichst negatives Szenario als auch ein möglichst positives Szenario beschrieben wird. Zusätzlich zu diesen beiden Extremen wird ein sogenanntes Trendszenario aufgestellt, das dann wahrscheinlich eintreffen wird, wenn es keine Umfeldentwicklungen gibt.

„Im Unterschied zu einem Zukunftsbild, das lediglich einen hypothetischen zukünftigen Zustand darstellt, beschreibt ein Szenario auch die Entwicklungen, Dynamiken und treibenden Kräfte, aus denen ein bestimmtes Zukunftsbild resultiert.“[2]

Für Bibliotheken ist der Einsatz von Szenariotechniken sinnvoll, da sich ihr Umfeld in einem stetigem Wandel befindet. Durch die Analyse möglicher, zukünftiger Szenarien können Bibliotheken Veränderungen frühzeitig erkennen und Strategien entwickeln, um die Zukunftsfähigkeit der Bibliothek nachhaltig sicher zu stellen.[3]

„Bibliotheksszenarien [sind] zwar aufwändige, aber ergiebige Ansätze, wenn man innerbetriebliche Veränderungs- und Öffnungsprozesse anstoßen, bestärken und steuern möchte.“[4]

Szenario-Trichter und Szenario-Techniken

  • Was ist das Ziel der Untersuchung?
  • Aus welchem Grund soll die Szenariotechnik angewendet werden?
  • Für wen sind die Ergebnisse der Analyse gedacht?
  • Ist die Anwendung von Szenariotechniken in diesem Zusammenhang sinnvoll?
  • Wie soll die Auswertung der Ergebnisse erfolgen?
  • Welche finanziellen und personellen Ressourcen werden für die Analyse zur Verfügung gestellt?
  • Wie viel Zeit wird für die Analyse eingeplant?

Es gibt:

  • Szenariotechniken, die auf Trendextrapolationen oder Trendanalysen beruhen,
  • Systematisch-formalisierte Szenariotechniken,
  • Kreativ-narrative Szenariotechniken.

Szenario-Trichter

Quelle: Wikipedia Szenariotrichter

Die engste Stelle des Trichters beschreibt den Ist-Zustand. Je weiter der betrachtete Blick von der Gegenwart entfernt ist, desto größer werden die Risiken und nicht vorhersehbaren Entwicklungen und Einflüsse, was sich in dem zunehmenden Durchmesser des Trichters ausdrückt. Das Trendszenario zeigt den zukünftigen Verlauf auf, wenn sich die gegenwärtige Situation nicht verändert. Da dies aber sehr unwahrscheinlich ist, werden sowohl die bestmögliche als auch die schlechtestmögliche Entwicklung im Szenariotrichter dargestellt.[5]

Der Einsatz des Szenario-Trichters ist für Bibliotheken sinnvoll, wenn:

  • mehrere unterschiedliche zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten analysiert werden sollen.

Der Einsatz des Szenario-Trichters in Bibliotheken ist nicht sinnvoll, wenn:

  • nur ein einziges Zukunftsbild betrachtet werden soll (besser: Trendanalysen durchführen)
  • nur Wissen über zukünftige Entwicklungen gesammelt werden soll (besser: Delphi-Befragungen)
  • nur wenige Faktoren analysiert werden sollen, über die bereits viel Wissen vorhanden ist.

Szenario-Techniken, die auf Trendextrapolationen und Trendanalysen beruhen

Trendextrapolationen sind die Fortführungen empirischer Reihen aktueller und früherer Trends bis in die Zukunft, wobei insbesonders die Vergangenheitswerte im Mittelpunkt stehen. Als Grundlage werden Trends möglichst langfristig analysiert und ihr zukünftiger Verlauf bei quantitativen Daten mit Hilfe statistischer Methoden errechnet oder bei qualitativen Daten schriftlich festgehalten. Dies bezeichnet man als Trendanalyse.[6]

Bildet man ein Szenario, das auf Trendextrapolationen basiert, wird oftmals nur eine, und zwar die wahrscheinlichste, Entwicklung analysiert. In diesem Fall wird kein Szenariotrichter aufgespannt, sondern ein einziger Trend genauer betrachtet. Nachteilig an Trendexplorationen ist, dass unerwartete, zukünftige Ereignisse vollkommen außer Acht gelassen werden. Kritisiert wird von Experten außerdem die Annahme, dass sich die Zukunft allein aus der Vergangenheit berechnen lässt. Aus diesem Grund können Szenariotechniken, die auf Trendanalysen beruhen, nur als Ausgangspunkt gesehen werden und sollten durch weitere Methoden ergänzt werden.[7]

Graphisch lässt sich die Trendextrapolation folgendermaßen darstellen:

Quelle: Kosow/Gaßner 2008, S. 34

Da Szenariotechniken, die auf Trendextrapolationen beruhen, häufig als nicht ausreichend gesehen werden bzw. nur als Wissensbasis für andere Methoden dienen, werden hier keine näheren Ausführungen oder Beispiele zur Durchführung und Anwendung gegeben. [8]

Weiterführende Links

Weitere Informationen und detaillierte Beschreibungen der Abläufe sind beispielsweise hier zu finden.

Systematisch-formalisierte Szenariotechniken

„Diese Gruppe von Szenariotechniken ist grundsätzlich dadurch gekennzeichnet, dass Schlüsselfaktoren zunächst klar definiert, anschließend variiert und miteinander kombiniert werden, um schließlich einen Szenariotrichter aufzuspannen und darin verschiedene Szenarien zu generieren. Dies geschieht auf systematische und formalisierte Art und Weise.“[9]

Bei systematisch-formalisierten Szenariotechniken können sowohl qualitative als auch quantitative Daten ausgewertet werden. Häufig werden hierfür Software-Programme benutzt.

Zu den systematisch-formalisierten Szenariotechniken gehören z. B. die Einflussanalyse und die Konsistenzanalyse.

Einflussanalyse

Um Schlüsselfaktoren systematisch festzulegen, wird eine Matrix gebildet, in deren Spalten und Zeilen sich die bereits definierten Faktoren in derselben Abfolge befinden.

Quelle: Kosow/Gaßner (2008), S. 39

Sind die Faktoren in die Matrix-Felder eingetragen, wird für jedes Faktoren-Paar die Beziehung abgefragt. Dies kann mit folgender Skala geschehen:

0 = Kein Einfluss

1 = Schwache Beziehung

2 = Mittlere Beziehung

3 = Starke Beziehung

Nach dieser Bewertung werden die Summen der Spalten und Zeilen berechnet und daraus der Beziehungsgrad der einzelnen Faktoren zu einander abgelesen. Die Summe der Zeile des jeweiligen Faktors ist hierbei die sogenannte „Aktivsumme“. Die Aktivsumme sagt aus, wie stark der Einfluss eines Faktors auf die anderen Faktoren ist. Die Summe der Spalten hingegen bildet die „Passivsumme“ und zeigt, wie sehr der jeweilige Faktor von anderen Faktoren beeinflusst wird.[10]

Die Bewertung der einzelnen Faktoren erfolgt nach Bildung der Aktiv- und Passivsummen anhand der jeweiligen Werte:

  •  Hohe Aktivsumme und niedrige Passivsumme = aktiver Faktor:
    Der Faktor beeinflusst stark, wird aber kaum von anderen Faktoren beeinflusst. Ist der Faktor regulierbar, kann er eine Lenkungsfunktion erhalten und eventuell als Ansatzpunkt für Veränderungen verwendet werden.
  • Hohe Passivsumme und niedrige Aktivsumme = passiver Faktor:
    Beeinflussung des Faktors ist größer als seine eigenen Auswirkungen. „Diese Faktoren stellen gute Indikatoren zur Beobachtung einer Situation dar.“ [11]
  • Hohe Aktivsumme und hohe Passivsumme = Dynamischer Faktor:
    Sehr wichtige Faktoren, die einen großen Einfluss auf andere Faktoren haben, aber auch in großem Umfang von anderen beeinflusst werden.
  • Niedrige Aktivsumme und niedrige Passivsumme = träge Faktoren:
    Insgesamt schwacher Einfluss oder Beeinflussung des Faktors. Oftmals Faktoren die nicht mit anderen verknüpft sind. [12]

Beispielhaft ausgefüllte Einflussanalyse-Matrix zum Thema E-Books in Bibliotheken

Quelle: Eigene Darstellung nach Kosow/Gaßner (2008), S. 39

Auswertung des Beispiels:

Für das obige Beispiel zum Thema E-Books in Bibliotheken bedeutet es, dass Faktor A „Buchpreisbindung für E-Books“ mit einer hohen Aktivsumme und einer niedrigen Passivsumme als aktiver Faktor zu sehen ist, der die Bedeutung von E-Books für Bibliotheken entscheidend prägt.

Faktor B „Quantität des E-Book-Angebotes“ hat eine hohe Passivsumme und niedrige Aktivsumme und ist aus diesem Grund zu den passiven Faktoren zu rechnen. Die Größe des E-Book-Angebots auf dem Markt wird beispielsweise durch den Buchpreis (Buchpreisbindung) und das Vorherrschen bestimmter Formate beeinflusst, wirkt aber nicht auf die anderen beiden Faktoren ein. Faktor B kann daher einen guten Richtwert zur Beobachtung der weiteren Entwicklung darstellen.

„Durchsetzung eines Formates“, Faktor C, hat eine niedrige Passivsumme und gleichzeitig eine niedrige Aktivsumme, was bedeutet, dass er ein träger Faktor ist und unabhängig von den anderen Faktoren zu sehen ist. In diesem Fall ist die „Durchsetzung eines Formates“ überwiegend von technischen Weiterentwicklungen oder der Durchsetzungsfähigkeit eines bestimmten Anbieters abhängig.

Matrix-Vorlage für die Einflussanalyse
pdf-Datei
Word-Datei

Weiterführende Links

Weiterführende Informationen und detaillierte Beschreibungen der einzelnen Methoden können hier nachgelesen werden.

Anwendung von Szenariotechniken in Bibliotheken

Obwohl es verschiedene Szenariotechniken gibt, und diese auf verschiedenen Grundlagen basieren, gibt es vier Phasen, denen alle Szenariotechniken zugrunde liegen. Da diese vier Phasen, mit leichten Abwandlungen, sowohl bei Szenariotechniken, die auf Trendextrapolationen beruhen und systematisch-formalisierten grundlegend sind, werden sie hier vorgestellt.

Phasenverlauf von Szenariotechniken

Quelle: Phasenverlauf von Szenariotechniken; Kosow/Gaßner (2008), S. 20

  • Phase 1 Szenariofeld-Bestimmung: Der Untersuchungsgegenstand muss ausgewählt und definiert werden. Anschließend sollte er gegenüber anderen Themen abgegrenzt und eventuell Schwerpunkte der Untersuchung gesetzt werden. Dies nennt man Szenariofeld-Bestimmung, da ein Untersuchungsfeld abgesteckt wird.
    Beispiel: Untersucht werden soll die zukünftige Entwicklung des E-Books-Angebotes in einer bestimmten Bibliothek. [13]
  • Phase 2 Schlüsselfaktor-Identifikation: In der zweiten Phase sollen unterschiedliche Schlüsselfaktoren, die den Untersuchungsgegenstand beschreiben, also beispielsweise Größen oder Kennzahlen, identifiziert und festgelegt werden. Schlüsselfaktoren sind hierbei die „wichtigsten“ oder aktivsten Faktoren, auf die besondere Aufmerksamkeit gerichtet werden muss. Identifiziert werden die Schlüsselfaktoren aus der Gesamtzahl der Faktoren, beispielsweise durch eine Einflussanalyse. [14]
  • Phase 3 Schlüsselfaktor-Analyse: Die ausgewählten Schlüsselfaktoren werden anschließend auf ihre zukünftige Entwicklung hin analysiert und bewertet. Dies wird durch das Vergleichen und Bewerten einzelner Faktoren miteinander erreicht. Zu beachten ist hierbei, dass es sinnvoll ist, sich nach diesem Schritt auf die wichtigsten und einflussreichsten Schlüsselfaktoren bei der weiteren Analyse zu beschränken. [15]
  • Phase 4 Szenariogenerierung: In diesem Arbeitsschritt werden die Schlüsselfaktoren vereint und in verschiedenen Szenarien aufgestellt. Die positiven und negativen Elemente der einzelnen Szenarien werden daraufhin mit der Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens verknüpft und bewertet. Nach diesem Prozess können Maßnahmen und Strategien entwickelt werden, die beim Eintreten einzelner Szenarien umgesetzt werden können. Dies kann entweder für mehrere Szenarien geschehen oder für ein „Leitszenario“, das als am wichtigsten betrachtet wird. Nur eine Strategie zu planen, ist allerdings nur dann nicht zu riskant, wenn die Wahrscheinlichkeit des Eintretens bei einem Szenario deutlich überwiegt. [16] Diese Phase wird Szenariogenerierung genannt, da in diesem Schritt einzelne Schlüsselfaktoren und Wahrscheinlichkeiten zu Szenarien verknüpft werden. [17]

Überblick über die Phasenabläufe der unterschiedlichen Gruppen von Szenariotechniken

Wie bereits oben erwähnt, müssen bei der Anwendung von Szenariotechniken, unabhängig von der jeweiligen angewendeten Technik oder Methode, vier Phasen durchlaufen werden. Die Grundstruktur dieser Phasen wurde oben beschrieben. Um einen Überblick über die Unterschiede und Ähnlichkeiten der einzelnen Methoden zu erhalten, sind hier die einzelnen Phasen aufgelistet, und der Arbeitsvorgang der Phase kurz beschrieben.

Im Beitrag verwendete Literatur

Homburg, Christian/Krohmer, Harley (2006): Grundlagen des Marketingmanagement. Einführung in Strategie, Instrumente, Umsetzung und Unternehmensführung.1. Aufl. Wiesbaden: Gabler

Kosow, Hannah/Gaßner, Robert (2008): Methoden der Zukunfts- und Szenarioanalyse. Überblick, Bewertung und Auswahlkriterien. In: Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung ITZ: Werkstattbericht; 103.

Umlauf, Konrad (2009): Die Bedeutung der Bibliotheken für die zukünftige Bürger- und Informationsgesellschaft. In: Berliner Handreichungen zur Bibliotheks- und Informationswissenschaft; 254. PDF.
(Abruf: 29.06.2012)

Wikipedia o.J.: Szenariotechnik.
(Abrufdatum: 28.06.2012)


Fußnoten

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