Stadtbibliothek Tempelhof-Schöneberg

Mit der Medienwerkstatt Encounters schafft die Stadtbibliothek Tempelhof-Schöneberg einen Ort des Austauschs, an dem die Stadtbewohner*innen sich in ihrer Diversität begegnen und Medienkompetenzen erlernen können. Das Projekt wird im Rahmen des Programms „hochdrei“ der Kulturstiftung des Bundes gefördert. Ein Gespräch mit Boryano Rickum, Leiter der Stadtbibliothek.

Boryano Rickum: Jeden Tag begegnen sich bei uns in der Stadtbibliothek Menschen. Meistens sind es allerdings zufällige Begegnungen, die durch Zufall zu etwas führen, was sich in irgendeiner Weise anschließend als sinnhaft herausstellen mag. Hier setzt die Medienwerkstatt an und fragt: Was passiert, wenn wir versuchen, diese zufälligen Begegnungen zu steuern, um daraus über Workshops und Veranstaltungen von, für und mit den Menschen Sinn zu produzieren? Wie vermag die Bibliothek Begegnungen zu nutzen, um die Medien- und Informationskompetenz der Menschen zu stärken?

Mit der Medienwerkstatt Encounters haben wir ein Format geschaffen, in dem die Menschen zunächst die Möglichkeit haben, ganz profan Handwerkszeug zu lernen: Wie filme ich? Wie schreibe ich ein Drehbuch? Wie mache ich einen Podcast? Wie führe ich Interviews? Wie schneide ich? Gleichzeitig verfolgen wir mit dem Projekt aber auch klare (stadt-)gesellschaftliche Ziele: Wie können wir mit diesem Begegnungsformat die Stadtgesellschaft im Bezirk und in Berlin bereichern und die Kulturlandschaft stärken?

Aktuell leben wir in Zeiten, in denen jeden Tag die freiheitliche Grundordnung immer mehr herausgefordert wird, sich die Gesellschaft zunehmend fragmentiert. Was können wir dem als Stadtbibliothek entgegenstellen? Wie können wir wieder Brücken bauen? All das führte zu der Idee der Medienwerkstatt Encounters, wo das zentrale Motiv die Begegnung mit all ihren Facetten ist, unabhängig von Milieu, Hintergrund und so weiter. Ich bin mal gespannt, was man in zwei Jahren, wenn das Projekt der Medienwerkstatt beendet ist, auf diese Frage antworten kann.

Boryano Rickum: Ganz am Anfang stand zunächst die Ankündigung dieses Förderprogramms der Kulturstiftung des Bundes mit dem Namen „hochdrei“ und die Idee, mit Fördermitteln dem Ziel, in der Stadtbibliothek mit neuen Vorstellungen von bibliothekarischer Arbeit experimentieren zu können, einen großen Schritt weiter zu kommen. Und die zweite Frage war dann, was wir konkret machen können.

Irgendwann habe ich den Kontakt zum Mauerpark Institut e.V. gesucht, das auch jetzt ein Kooperationspartner der Medienwerkstatt ist und so bin ich dann wiederum an den weiteren Kooperationspartner gekommen: das Ethnologische Institut der FU Berlin, das zuvor schon zusammen mit dem Mauerpark Institut das lose Netzwerk „Encounters“ bildete, bestehend aus veranstaltungserfahreren Anthropolog*innen, Journalist*innen, Lehrer*innen, Studierenden, Künstler*innen und Aktivist*innen aus verschiedenen Teilen der Welt mit lokaler und globaler Expertise in Sachen Begegnung. Der Gedanke war, was wohl passieren würde, wenn man dieses Netzwerk, das sich bisher in einem universitären Kontext bewegte, an einen Ort bringt, der niedrigschwelliger ist als eine Universität, nämlich eine Stadtbibliothek. Was passiert mit diesem Netzwerk an sich, und was passiert umgekehrt mit dem Universum, in dem sich eine Stadtbibliothek befindet?

Boryano Rickum: Es ist auf jeden Fall unser Ziel, genau das zu ermuntern, sowohl die Stamm-, als auch neue Nutzer*innen mit der Medienwerkstatt anzusprechen.

Ich glaube, dass wir schon sehr lebendige Workshops haben (vgl. dazu auch unseren Workshop- und Veranstaltungskalender). Inwiefern die Lebendigkeit dieser Workshops bereits dadurch entstanden ist, dass auch Anwohner*innen aus den Einzugsgebieten unserer Bibliotheken auf die Medienwerkstatt aufmerksam geworden sind, können wir noch nicht konkret statistisch belegen. Das wird sich dann am Ende des Projekts zeigen, ob wir sie mit der Medienwerkstatt mitgenommen haben.

Boryano Rickum: Im bisherigen Verlauf des Projektes haben wir immer wieder kleinere schnelle Kampagnen-Maßnahmen umgesetzt, etwa Flashmobs im Bezirk und an seinen Plätzen, in Cafés, Bussen und Bahnen, um das eigene multilinguale Printmagazin der Medienwerkstatt zu promoten, in dem die schönsten Ergebnisse der verschiedenen Aktivitäten präsentiert werden.

Boryano Rickum: Das Spannende ist ja gerade, dass die Medienwerkstatt auf einer bestehenden Community des Netzwerks Encounters aufbauen konnte, die sich nun mit jener der Stadtbibliothek vermischt. Von Anfang an haben wir bestimmte Maßnahmen des Community-Buildings mitgedacht. So lädt unsere Projektkoordinatorin etwa regelmäßig den Kern der Community und neue Interessierte zu einem Stammtischabend in einem Café in Schöneberg ein. Dort werden Kontakte gepflegt und neue Ideen für die Medienwerkstatt bei einem Drink ausgeheckt. Die Community der Medienwerkstatt bleibt sehr lebendig.

Boryano Rickum: Die Medienwerkstatt Encounters hat von Projektbeginn an schon eine Menge Workshops gemacht und ein hohes Tempo vorgelegt. Natürlich musste auch die Medienwerkstatt mit den Auswirkungen der aktuellen Pandemie umgehen und hat entsprechend geplante Events soweit möglich und sinnvoll in die virtuelle Welt verlagert. Im Sinne unseres Bestrebens, sinnhafte und gezielte Begegnungen in den Bibliotheken zu erzielen, sicherlich nicht optimal. Aber inzwischen gibt es wieder Aktivitäten, die mit physischen Begegnungen verbunden sind, zuletzt etwa Urban Gardening- und Filmworkshops.

Ich bin zudem nach wie vor gespannt, was das Projekt am Ende mit dem bibliothekarischen Team aus meiner Stadtbibliothek gemacht haben wird. Da prallen ja unterschiedliche Welten aufeinander: Einerseits dieses lose Netzwerk, was sehr aktivistisch und hochkünstlerisch einfach sagt: „Ja, machen, machen!“ Das funktioniert nicht immer so gut mit dem Alltag, den meine Kolleg*innen in der Bibliothek andererseits haben. Ich merke einfach den klaren Unterschied zu den Rahmenbedingungen in der Stadtbibliothek: Wenn ich hier etwas Neues entwickeln will, dann muss ich bestimmte Dienstwege einhalten. Im Projekt ist es so „Ja, gute Idee, machen wir!“ und deswegen macht es auch so wahnsinnig Spaß, weil man dank der Kulturstiftung die Möglichkeit hat, Dinge einfach mal zu testen, ohne genau zu wissen, ob es funktioniert. Wenn es nicht funktioniert: schade. Aber dann sind wir eine Erfahrung reicher und gucken, was wir daraus machen können.

Boryano Rickum: Denk- und planbar auf jeden Fall. Gerade haben wir ein Konzept rund um das große Themenfeld Maker-Space für unsere Stadtbibliothek entwickelt. Dabei war das Projektteam der Medienwerkstatt eng eingebunden. Der gesellschaftliche Fokus auf das Thema ‚Begegnungen‘ findet sich in diesem Konzept deutlich wieder.

Unser Ziel ist es, insbesondere jene Formate in unser Angebot aufzunehmen, mit denen wir im Projekt der Medienwerkstatt mit dem größten Erfolg experimentiert haben und die entstandene Community langfristig an uns zu binden. Dafür werden perspektivisch die Aufgaben der Koordination und Organisation von dem Projektteam nach dem Ende der Förderzeit von „hochdrei“ in hauptamtliche Hände gegeben – für derartige Dinge haben wir eigens die Stelle „Community Management“ in der Stadtbibliothek neu geschaffen, die wir aktuell gerade besetzen. Ob es uns gelingt, diese Ziele zu erreichen? In schā‘ Allāh!

Redaktion und Kontakt

Das Interview führte Sophie Zue am 4. September 2020.

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