Stadtbücherei Warendorf

Infolge eines umfassenden Stadtentwicklungsprozesses erlebt die Stadtbücherei Warendorf in NRW gerade einen intensiven Wandlungsprozess – unter sehr aktiver Einbeziehung der lokalen Bevölkerung. Denn die Menschen vor Ort können mitentscheiden, wie ihre Bibliothek der Zukunft sein soll. Das Projekt wird im Rahmen des Programms hochdrei der Kulturstiftung des Bundes gefördert. Ein Erfahrungsbericht von Birgit Lücke, Leiterin der Stadtbücherei.

Birgit Lücke: Unsere Vision ist es, aus der Stadtbücherei unsere Bücherei zu machen – und zwar unsere im möglichst weit gefassten Sinne: damit sind nicht nur unser Team und bestenfalls noch unsere Kunden gemeint. Wir möchten dieses Haus gemeinsam mit der Stadtgesellschaft gestalten, gemeinsam Ideen für das Haus entwickeln, hier kann jede*r selbst aktiv werden und etwas veranstalten, Angebote machen, also viel mehr als das, was wir aus der klassischen Bibliotheksarbeit kennen. Das geht also auch weit über die Möglichkeit hinaus, dass Bürger*innen Vorschläge für Anschaffungen machen können – ein Angebot, bei dem die Bibliothek ja letztlich selbst schaltet und waltet. Die Stadtbücherei soll bei uns die Kerneinrichtung für ein Haus werden, das alle Bürger*innen der Stadt mitgestalten können.

Birgit Lücke: Wir sind zu dem Projekt gekommen, als in der Stadt Warendorf ein Strategieprozess zur Stadtentwicklung angestoßen wurde. Da ging es um das Thema: Was macht die Stadt Warendorf in zehn bis 15 Jahren lebenswert und zukunftssicher? Und da haben wir uns gefragt: Welche Rolle kann die Bibliothek hierbei übernehmen, welchen Beitrag kann sie leisten? Mit dieser Frage im Kopf haben wir den Projektantrag bei der Kulturstiftung des Bundes gestellt.

Birgit Lücke: Wir haben einen offiziellen Projektpartner und viele inoffizielle (lacht).

Der offizielle Projektpartner ist das Quartiersbüro der Stadt, das für die Entwicklung der Altstadt und der Innenstadt zuständig ist. Auch uns beschäftigt die Frage, wie die Altstadt sich entwickeln muss, damit sie sowohl für die Wirtschaft als auch für die Bürger*innen interessant bleibt. Als Stadtbücherei sind wir auch ein ganz wichtiges Gebäude in dieser Fragestellung. Und wenn die Entscheidung fallen sollte, dass wir eine entscheidende Rolle in dem Prozess spielen, dann – das war uns klar – müssten wir Umbaumaßnahmen vornehmen, da die Fläche augenblicklich zu klein ist. Und dafür brauchen wir Städtebaufördermittel – ein Bereich, der auch über das Quartiersbüro läuft. Deshalb haben wir das Quartiersbüro gefragt, ob sie mit uns in den Prozess hineingehen – und setzen die Zusammenarbeit jetzt auch in der nächsten Phase fort. Wir sind nämlich schon mit den nächsten Projektanträgen beschäftigt, bei denen es darum geht, weitere Mittel zu akquirieren, um den geplanten Umbau zu gestalten.

Neben dem Quartiersbüro ist ein ganz wichtiger Partner der Förderverein der Stadtbibliothek, der von Anfang an mit dabei war und eine große Rolle bei der inhaltlichen Entwicklung gespielt hat, im Programm hochdrei aber nicht als offizieller Partner genannt wird.

Eingeflossen sind auch Anregungen durch Interviews und Expertengespräche, die im Rahmen des Strategieprozesses geführt wurden. Da haben wir auch noch ganz viel aus der Vereinswelt, von Senior*innen und Jugendlichen mitgenommen, was unsere Ideen unterfüttert und bestimmte Themen vertieft hat. Die kleinen Vereine haben zum Beispiel darüber geklagt, dass sie keine Räume haben, in denen eine Vorstandssitzung oder auch eine Mitgliederversammlung stattfinden könnte bzw. in denen sie sich präsentieren könnten.

Birgit Lücke: Wir sind da vielschichtig unterwegs gewesen. Im Rahmen des Strategieprozesses gab es Expertenrunden zu bestimmten Themenfeldern plus Stadtkonferenzen, bei denen die gesamte Stadtbevölkerung befragt wurde.

Dann haben wir in unserem eigenen Prozess noch einmal zusätzlich einen Arbeitskreis gegründet, der das Herzstück des ganzen Prozesses ist. Darin ist sowohl die Stadtverwaltung vertreten, als auch der Förderverein, das Quartiersbüro und, ganz wichtig, alle politischen Fraktionen. Wir treffen uns regelmäßig, um immer die nächsten Schritte abzusprechen. Die Politiker können es dann gleich in die Fraktionen zurückspiegeln, das war auch sehr hilfreich für die Vorbereitung des gesamten Prozesses.

Mit dem Arbeitskreis und unserem Team haben wir z. B. auch eine Exkursion ins niederländische Den Helder gemacht und uns dort die School 7 angesehen. Das bot sich als Ort an, da die Stadt ähnlich groß ist, und auch wir in einem alten Schulgebäude sitzen. Von dort haben wir ganz viele Ideen für die Umsetzung mitgenommen. Diese Exkursion war aber auch noch in anderer Hinsicht ein entscheidender Moment für uns: Gerade bei den Politikern habe ich da das Gefühl gehabt, dass es Klick gemacht hat. Denn ich kann ganz viel über „Aufenthaltsqualität“ erzählen, aber das hilft nicht, wenn damit alle etwas anderes verbinden. Nach dieser Exkursion haben wir alle auf einmal ein gleiches Bild vor Augen gehabt. Wir reden jetzt nicht mehr aneinander vorbei. Wir wissen, was wir meinen – und was wir erreichen wollen. Insofern war das wirklich ein Meilenstein, um den ganzen Prozess voranzubringen.

Birgit Lücke: Mit dem Spiel wollten wir vertiefend mit Menschen ins Gespräch kommen. Dabei wurden wir begleitet von einer Agentur in Mönchengladbach, die das Spiel für uns entwickelt hat. Es ist ein Brettspiel: Auf einem Spielbrett werden drei Orte vorgestellt (Erster Ort (Zuhause), Zweiter Ort (Arbeit) und Dritter Ort (Bibliothek)). Dazu gibt es Spielkarten, auf denen 60 unterschiedliche Aktivitäten abgebildet sind (z. B. Kaffee trinken, Leute treffen, basteln, lesen, malen, Sprachen lernen). Die Aufgabe ist nun, die Aktivitätenkarten auf dem Spielbrett zu verteilen – je nachdem, ob man der Aktivität eher zuhause, auf der Arbeit oder in der Bibliothek nachgeht. Für viele war das eine positive Irritation, die sie mit Fragen konfrontiert hat, über die sie noch nie nachgedacht hatten. Zum Beispiel „Sprachen lernen“: Da kommt für manchen der VHS-Kurs nicht infrage, weil der mit dem Terminkalender schlecht vereinbar ist, aber wenn es die Möglichkeit gäbe, das zeitlich flexibel in der Bibliothek auszuprobieren – oder dort zu einem Sprachtreff zu gehen, dann wäre das toll.

Wir waren wirklich überrascht, welche Ergebnisse wir da bekommen haben – und auch in welcher Tiefe. Jeder durfte am Ende auch noch einmal eine Aktivität raussuchen, die ihm besonders am Herzen liegt – und auf die wir dann vertieft draufgesehen haben. Dazu gab es dann noch einmal einen Zusatzfragebogen, auf dem man angeben konnte, unter welchen Rahmenbedingungen man das gern durchführen würde, wie die Räume gestaltet sein sollten, ob man eventuell bereit ist, dafür auch einen kleinen Obolus zu entrichten oder sich dabei selber einzubringen – ob mit Stühle aufstellen, aufräumen etc.

Insgesamt haben wir 172 solche Bögen ausgewertet. Wir haben dabei auch darauf geachtet, dass wir alle Altersstufen dabeihaben – das jüngste Kind war fünf Jahre alt, der Älteste 84.

Das alles bildete eine sehr gute Basis für uns, um unsere Vision weiterzuentwickeln. Aus den Ergebnissen hat die Agentur dann das Raumkonzept entwickelt, das wir dann wiederum den Befragten gespiegelt haben, dazu auch einen kleinen Film gemacht haben, in dem die gewünschten Aktivitäten explizit genannt werden.

Aus diesem Raumkonzept wollen wir jetzt schon einmal drei Räume umsetzen – ohne die große Baumaßnahme: ein Werkraum für kreative Aktivitäten, eine Jugendbibliothek mit einem Game Cube, in dem kleinere Gruppen Konsolenspiele spielen, Filme und Musik streamen können – und dann die Kinderbibliothek. Sie enthält auch flexible Elemente, wie leicht bewegliche Regalen, wodurch man den Raum selbst umgestalten kann. Das sind alles Ideen aus den Fragebögen und dort geäußerten Wünschen der Menschen, die wir jetzt schon einmal umsetzen wollen, weil wir darauf spekulieren, dass die Bevölkerung dann in Bezug auf die übrigen Räume auch noch einmal auf ganz neue Ideen kommen könnte. Im nächsten Jahr wollen wir– im Anschluss an die Eröffnung der drei Räume – dann nämlich auch noch einmal eine neue Spielerunde starten.

Birgit Lücke: Einerseits haben wir natürlich Kunden befragt. Doch um eine möglichst breite Zielgruppe zu erreichen, war unsere ursprüngliche Idee, beim Weihnachtsmarkt einen Stand mit unserem Spiel zu eröffnen. Aber nach den ersten Erfahrungen mit dem Spiel, das immer viel länger dauerte als geplant, haben wir umdisponiert. Sowohl das Team als auch der Förderverein haben ihr privates Umfeld befragt, z. B. Nachbarn, Vereinskameraden, Freunde. Das haben wir auch gemacht, weil das Spiel nur funktioniert, wenn man Zugang zu den Befragten hat und diese sich öffnen und einlassen wollen. Dadurch haben wir dann auch viel Input und, so glaube ich, gute Ergebnisse erhalten. Wir sind dabei immer bewusst auf Menschen zugegangen, von denen wir genau wussten, dass sie die Bücherei nicht nutzen.

Birgit Lücke: Die größte Herausforderung ist es, immer alle mitzunehmen, also immer zu versuchen, dass alle auf gleichem Stand sind, auch ganz offen zu kommunizieren und zuzulassen, dass da Vorstellungen auftauchen, die erst einmal ablehnend sind. So Äußerungen wie z. B.: „Wofür brauchen wir das denn jetzt?“

Ich habe auch gelernt, dass das traditionelle Bild von Bibliotheken noch immer ganz fest verwurzelt ist, das können wir uns gar nicht vorstellen. Das wird dann bei niedlichen Äußerungen deutlich, wie: „Ich würde ja gern Kaffee in der Bibliothek trinken, aber das darf man da ja nicht.“ – „Doch, darf man!“ (lacht) Das macht einem dann noch einmal deutlich, was für uns alle längst selbstverständlich, aber fern von Büchereien völlig unvorstellbar ist.

Natürlich ist Corona auch blockierend, viele unserer für das Frühjahr und den Sommer geplanten Veranstaltungen konnten deswegen nicht stattfinden. Doch als wir die Ausleihe wieder aufgenommen haben, war es ein schönes Signal für uns, von den Leuten zu hören, dass sie die Aktivitäten im Haus vermissen und fragen: Wann ist denn wieder Lesekreis? Wann Erzählcafé? Wann Reparaturwerkstatt? Dadurch wissen wir: Bei denen, die unsere Aktivitäten kennen, sind sie schon einmal angekommen, die wissen sie zu schätzen. Jetzt müssen wir nur noch die anderen erreichen!

Redaktion und Kontakt

Das Interview führte Sophie Zue am 19. August 2020.

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