Wissenschaftliche Bibliotheken als grüne Lernorte

Interview mit Janet Wagner

Janet Wagner arbeitet in der Philologischen Bibliothek der Freien Universität (FU) Berlin und ist dort als interne Koordinatorin zwischen der Stabsstelle Nachhaltigkeit der FU und den FU-Bibliotheken tätig. Ehrenamtlich engagiert sie sich im Netzwerk Grüne Bibliothek und der IFLA-Sektion ENSULIB (Environment, Sustainability and Libraries).

 

Die FU Berlin hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2025 klimaneutral zu werden. Welche Maßnahmen setzen Sie konkret in den Bibliotheken um, um dieses Ziel zu erreichen?

Janet Wagner: Klimaneutralität zu erreichen ist ein ambitioniertes Ziel! Alles, was wir tun, produzieren, einkaufen oder anbieten soll Emissionen vermeiden, der CO2-Fußabdruck soll merklich verringert werden. Die Freie Universität Berlin hat über 4500 Beschäftigte, ca. 33.000 Studierende und ist eine vielschichtige, sehr komplexe Organisation. Die Bibliotheken der Freien Universität haben ca. 450 Beschäftige an 15 Standorten. Beim Ausruf des Klimanotstandes 2019 habe ich sofort überlegt, welchen Hebel die Bibliotheken haben, um Umwelt- und Ressourcenschutz in die Tat umsetzen. In den formulierten Teilzielen der Klimanotstandserklärung heißt es unter anderem auch: „…unsere nachhaltigkeits- und klimaschutzbezogenen Aktivitäten im eigenen institutionellen Verantwortungsbereich – in der Verwaltung und auf dem Campus – kontinuierlich weiterzuentwickeln.“(Quelle) Hierbei sehe ich die Bibliotheken direkt angesprochen.

Ich möchte dazu zwei Hauptpunkte nennen, an denen wir ansetzen können: Digitalisierung und Papierverbrauch in Bibliotheken.

Eine kontinuierliche Weiterentwicklung von Open-Access-Angeboten ist bedeutsam, wenn es um gute Unterstützung für Forschung und Lehre geht. Bildung in die Gesellschaft zu tragen, beginnt auch damit, Wissen und Informationen bereitzustellen, möglichst unabhängig davon, wo die Personen leben, forschen und lernen. Die Bibliotheken der FU Berlin erwerben vorrangig digitale Medien, um eben dies zu ermöglichen. Ein großer Aufgabenbereich ist „Open Access & E-Publishing“, welcher freie Zugänge für wissenschaftliches Wissen mit einem kompetenten Team realisiert und ausbaut. Das trägt sich mit der Aufgabe, Beiträge zur sozialen Nachhaltigkeit zu leisten, die aus meiner Sicht oft zu wenig betrachtet wird.

Das andere ist der Papierverbrauch in den internen Arbeitsabläufen der Bibliotheken sowie das immer noch vorherrschende Bild, dass Bibliotheken Druck- und Kopierservices in vollem Umfang anbieten sollten.

Mit der Umstellung auf hochwertige Scangeräte an allen Bibliotheksstandorten bis Ende 2022 und dem kostenlosen Angebot, Scans für Studium und Lehre zu erstellen, erfolgt ein nicht unbedeutender Beitrag zur Klimaneutralität. Mit dem Konzept: „Let`s Scan“ will die Universitätsbibliothek für mehr Nachhaltigkeit neue Wege gehen. Die Pandemie hat Entwicklungen ins digitale Zeitalter sehr beschleunigt, diese Veränderungen sollten nun genutzt werden. Es gilt bundesweit als Standard, dass wissenschaftliche Bibliotheken kostenloses Scannen anbieten.

Im Bereich des internen Geschäftsganges der Bibliotheken gibt es seit einigen Wochen erste Schritte im Bereich der Rechnungsbearbeitungen für Datenbanken und E-Books. PDF-Rechnungen, die vom Lieferanten per E-Mail geschickt werden, müssen nun nicht mehr ausgedruckt, mit bibliotheksinternen Kennzeichen versehen und erneut digitalisiert werden. Dies ist einer von weiteren Schritten auf dem Weg zur elektronischen Akte.

Es gibt viel zu tun, aber diese beiden Punkte zeigen, wie konkret die Bibliotheken der FU Maßnahmen zur Klimaneutralität entwickelt haben und es weiterhin tun.

Übrigens hat Dr. Andreas Brandtner als Direktor der Universitätsbibliothek der FU Berlin die Grundsatzerklärung von „Libraries4Future“ unterzeichnet. Ein erster Schritt, dem Taten folgen!

Die Bibliotheken der FU engagieren sich auch im Bereich Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE). Wieso ist das aus Ihrer Sicht wichtig?

Wagner: BNE ist so vielschichtig! Bei den unterschiedlichen Kompetenzen, die BNE umfassen greife ich mir einmal zwei heraus: Partizipation und gemeinsames Handeln.

Verbindet man Bibliotheken mit Leseverhalten, so ist es sehr spannend zu schauen, wann sich der ökologische Fußabdruck beim Lesen verringert. Dazu bietet BNE Ansätze, die man sehr gut mit Schulungs- und (digitalen) Bildungsangeboten verbinden kann. Dazu fällt mir ein Zitat von Sascha Lobo ein: „Fragt nicht, was digital werden soll, fragt was analog bleiben muss!“

Aktuell gibt es noch knapp acht Jahre Zeit zum Erreichen der UN-Nachhaltigkeitsziele. Mit der Deklaration „ESD2030“ als auch der Berliner Erklärung für Nachhaltige Entwicklungbraucht es aus meiner Sicht keine weiteren Papiere und theoretischen Ausführungen mehr. Da steht alles drin!

Welche Projekte setzen Sie in den Bibliotheken zum Thema BNE um?

Wagner: Die Bibliothek für Sozialwissenschaften und Osteuropastudien hat seit 2013 einen wunderbaren Bibliotheksgarten mit Blick auf Biodiversität. Das Team engagiert sich sehr eindrucksvoll, nicht nur einen „grünen Lernort“ zu schaffen, sondern auch zu zeigen, wie jede*r Einzelne mit wenig Bemühungen etwas gegen das globale Insektensterben und für den Erhalt von bedrohten Pflanzenarten tun kann. Eine kleine Saatgutbibliothek ergänzt das Thema. Überall gibt es dazu Hinweise, Aufrufe sich in diesem Garten zu engagieren, mitzumachen, ins Gespräch zu kommen. Das ist für mich BNE in der Praxis, ein wunderbares Beispiel.

Premiere war es für mich im Frühjahr 2022 die BNE-Veranstaltung „Wachsen E-Books auf Bäumen?“ im Rahmen der Schüler*innen Uni der FU durchführen zu können. Wie lässt sich beim regelmäßigen Lesen der eigene Fußabdruck reduzieren? Da spielen die Bibliotheken eine bedeutungsvolle Rolle! Ob Schüler*innen, Studierende oder Erwachsene: Das Thema lässt sich auf alle Zielgruppen übertragen. Die Ausleihe von E-Book-Readern in Bibliotheken jedenfalls ist noch nicht jedem bewusst, das hat die Schüler*innen in meiner Veranstaltung sehr überrascht.

Auch meine inhaltliche Stellenbeschreibung als Koordinatorin für Nachhaltigkeit hat viel mit BNE zu tun! Denn nur mit der Ressource „Zeit“ kann ich Kooperationen eingehen, mich mit anderen Abteilungen der FU und des Bezirks vernetzen. Die dauerhafte Initiierung der Arbeitsgruppe „GreenFUBib“ hilft dabei, beim Thema zu bleiben und gemeinsam dafür zu sorgen, dass die Schlüsselkompetenzen wie Sozial- und Selbstkompetenz auch bei den Bibliotheksteams anschlussfähig sind. Die Arbeitsgruppe wächst mit neuen Kolleg*innen und ich freue mich immens darüber, wenn weitere engagierte Personen dazu kommen! „Take Action“ ist für mich BNE und so arbeite ich sehr mit der Einstellung: „Mache selbst und rede mit den Menschen“!

Wie könnten sich wissenschaftliche Bibliotheken generell stärker im Bereich BNE engagieren?

Wagner: Ich habe lange in Öffentlichen Bibliotheken gearbeitet und habe nun nach vielen Jahren an der FU Berlin verstanden, dass es bei den wissenschaftlichen Bibliotheken aufgrund des Auftrags und der Zielgruppen (Studierende, Forschende und Lehrende) nun mal nicht mit verschiedenen Veranstaltungsformaten zu Umwelt- und Klimaschutzthemen getan ist. Eine Universität ist ein großes Netzwerk und gerade im Bereich Studium steckt unter dem Punkt „Nachhaltigkeit in der Lehre“ viel Potenzial, als Bibliothek dort anzudocken. Neben dem Raumangebot können Bibliotheken auch in den Seminarvorlesungen präsent sein. Während der Pandemie habe ich z.B. im Rahmen des Kompetenzbereichs Nachhaltige Entwicklung in der Allgemeinen Berufsvorbereitung (ABV) einen recht provokanten Input gegeben mit dem Titel: „Bibliotheken – Klimasünder oder Klimaretter?“ Das war sehr inspirierend und spannend, wie Studierende heute wissenschaftliche Bibliotheken wahrnehmen und was sie alles (positiv) überrascht.

Ein weiteres Thema ist die Berufsausbildung. Beruflicher Nachwuchs in Bibliotheken wird dringend benötigt. BNE in die duale FaMI-Ausbildung zu implementieren halte ich für sehr wichtig. Wenn schon die absolut veraltete Ausbildungsordnung von 1998 immer noch gilt, dann ist es an den Ausbilder*innen in den Bibliotheken, die praktischen Ausbildungspläne an die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts anzupassen. Das wird ein Schwerpunkt meiner Arbeit ab Herbst 2022 sein, wenn die neuen Auszubildenen in den FU Bibliotheken anfangen. Das Gleiche gilt ebenso für die bibliothekarische Ausbildung bzw. bei der Ausbildung von Referendar*innen an wissenschaftlichen Bibliotheken.

Stichwort „Forschung in der Bibliothek“: Seit 2019 gibt es ein stromerzeugendes Fahrrad in der Philologischen Bibliothek. Ich habe seitdem die Idee im Kopf, ein Projekt mit der Medizinischen Fakultät der Charité zu starten. Unter der Fragestellung: „Wie wirkt sich regelmäßige Bewegung auf die Konzentration und die Aufmerksamkeitsspanne aus?“ wäre es aus meiner Sicht spannend, wenn die Philologische Bibliothek fachbereichsübergreifend der Ort für eine Forschungsstudie wird. Let‘s do it!

Für die globale Transformation und für das eigene positive Zukunftsbild jedes Mitarbeitenden in Bibliotheken gilt mehr denn je: es braucht Zeit, Geduld, Bereitschaft, Dinge anders zu machen und viel Überzeugungsarbeit!

 

Das Interview führte Lisa Rohwedder, Referentin für Kommunikation und Digitale Medien beim dbv sowie Projektkoordinatorin „Bibliotheksportal“.

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