Kulturarbeit in Zeiten der Klimakrise
Interview mit Dr. Sebastian Brünger
Dr. Sebastian Brünger ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Kulturstiftung des Bundes. Er entwickelte das Pilotprojekt „Klimabilanzen in Kulturinstitutionen“ für das Kulturinstitutionen verschiedener Sparten im Jahr 2021 ihre Klimabilanzen ermittelt haben.
Wie sind die am Pilotprojekt beteiligten Kultureinrichtungen vorgegangen, um ihre Klimabilanzen zu ermitteln?
Dr. Sebastian Brünger: Die Klimabilanzierung wurde auf der Grundlage des „Greenhouse Gas Protocol“-Standards durchgeführt: Zunächst legten die Kulturinstitutionen die zu untersuchenden Organisationsteile bzw. Liegenschaften fest. Dann erfolgte die Datenerhebung, die sich an den folgenden Emissionsquellen orientierte: 1. Infrastruktur: Strom, Wärme/Kälte, Müll, Wasser; 2. Mobilität: Mitarbeiter*innen, Besucher*innen, Künstler*innen, Gegenstände/Transporte; 3. Beschaffung: Verwaltung, Werkstätten, Gastronomie. Diese Daten wurden mittels spezifischer Emissionsfaktoren umgerechnet und grafisch aufbereitet. Auf der Basis dieser Zahlen konnten in einem letzten Schritt relevante Handlungsfelder und Einsparpotentiale identifiziert, erste Klimaziele gesetzt und entsprechende Maßnahmen abgeleitet werden.
Vor welchen besonderen Herausforderungen stehen Kultureinrichtungen, die ihren CO2-Ausstoß reduzieren möchten, im Gegensatz zu anderen Institutionen oder der Wirtschaft?
Brünger: Das abschließende Feedback der beteiligten Häuser war überwiegend positiv: Die meisten Häuser stuften die konkreten Zahlen der Klimabilanzierung als hilfreiche Statusanalyse ein. Aber die Datenerhebung sei aufwendiger als gedacht gewesen und Kultureinrichtungen haben in der Regel keine personellen Kapazitäten dafür – das ist eine Aufgabe „on top“. Zudem sind größere Maßnahmen zur Emissionsreduktion oftmals mit finanziellen Investitionen verbunden, über die Kultureinrichtungen nicht allein entscheiden können und/oder für die sie nicht selbst die entsprechenden Mittel haben.
An welchen Punkten können insbesondere Bibliotheken ansetzen, um klimafreundlicher zu werden?
Brünger: Grundsätzlich ließ sich im Pilotprojekt eine spartenübergreifende Tendenz erkennen: Die wesentlichen Faktoren der meisten Klimabilanzen sind die Klimatisierung der Gebäude und die Mobilität rund um den Betrieb – das gilt meiner Einschätzung nach auch für Bibliotheken. Wenn Maßnahmen entwickelt und umgesetzt werden sollen, erscheint es mir sinnvoll, dass auch die relevanten Stakeholder in einen solchen Prozess mit eingebunden werden. Bei Bibliotheken insbesondere die Träger*innen, die Nutzer*innen und die Mitarbeiter*innen der Einrichtungen. Und: Die möglichen Maßnahmen sollten priorisiert werden: Was ist einfach umzusetzen, was ist wesentlich?
Was braucht es aus Ihrer Sicht, damit Kulturinstitutionen ihren CO2-Ausstoß in Zukunft deutlich reduzieren können? Sind beispielsweise mehr finanzielle Mittel, eine zentrale Anlaufstelle zum Thema, politische Entscheidungen oder gesetzliche Rahmenbedingungen gefragt?
Brünger: Das sind alles wichtige Faktoren: Auftrag, Mittel und Qualifikation. Ich glaube, dass es dabei wichtig ist, dass Kulturinstitutionen mit ihren Träger*innen bzw. Förder*innen verstärkt in den Dialog treten. Denn auch Bundesländer und Kommunen haben sich Klimaziele gesetzt, die früher oder später in der Kulturförderung greifen werden. Wir haben jetzt noch die Möglichkeit, die Bedingungen von Kulturarbeit in Zeiten der Klimakrise gemeinsam zu diskutieren und zu gestalten – bevor Sachzwänge oder Marktpreise (etwa durch einen stark steigenden CO2-Preis) uns die Entscheidungen abnehmen werden.
Die Dokumentation des Pilotprojekts mit Auswertungen, Erfahrungsberichten, Handlungsempfehlungen und Arbeitsmaterialien steht kostenfrei als Broschüre zum Download zur Verfügung.
Das Interview führte Lisa Rohwedder, Referentin für Kommunikation und Digitale Medien beim dbv sowie Projektkoordinatorin „Bibliotheksportal“.