Graue Energie nutzen!

Interview mit Jochen Usinger

Die Grafik stellt den Kreislauf zwischen Aufarbeiten / Umbauen, Wiederverwenden / Weiterbauen und Sortenrein entsorgen / Zurückbauen dar.

Jochen Usinger ist Architekt und Lehrbeauftragter für Bibliotheksbau an der TH Köln. Er arbeitet mit seinem Büro UKW-Innenarchitekten hauptsächlich im Bibliotheksbau Öffentlicher und wissenschaftlicher Bibliotheken und hat langjährige Erfahrung mit den Themen Umnutzung und Modernisierung.

 

Welche Vorteile hat die Nachnutzung bestehender Gebäude aus ökologischer Sicht?

Jochen Usinger: Nicht nur aus städtebaulicher Sicht hat die Nachnutzung nur Vorteile. Die Nutzung der sogenannten „grauen Energie“, also der Energiemenge, die für Herstellung, Transport, Lagerung, Verkauf und Entsorgung eines Produktes verwendet werden muss, sind hier ausschlaggebend. Die Nutzung bereits versiegelter Flächen, die enorme CO2-Reduktion für den gesamten Lebensprozess eines Gebäudes, die zirkuläre Wertschöpfung stellen immense ökologische Gewinne dar. Besonders hervorzuheben ist aber auch der Aspekt, dass durch die Nachnutzung ein Stück der Geschichte eines Ortes erhalten bleibt. Bibliotheken haben einen hohen Stellenwert und somit sollte die konkrete Auswahl eines nachzunutzenden Gebäudes auch etwas Besonderes bieten. So wird dann insgesamt eine indentitätsstiftende Wirkung für die Stadtgesellschaft erzielt. Allein diese Werterhaltung ist schon ein hohes nachhaltig und ökologisch gedachtes Gut. Anspruchsvolle Transformation schafft Orte mit Charakter statt funktional geplanter Gebäude. Wir müssen weiter beachten, dass ein altes, weitergenutztes und gut saniertes Gebäude in der Regel eine deutlich bessere Energieeffizienz hat, als ein Neubau im Passivhausstandard. Ökologische Nachhaltigkeit hat also nicht nur was mit der Auswahl des Bodenbelages zu tun.

Sie haben in einigen Projekten die Bibliotheksnutzer*innen einbezogen. Wie fließen die Ergebnisse solcher Beteiligungsprozesse in die Planungen ein und was versprechen Sie sich davon?

Usinger: Nachhaltigkeit verlangt per Definition nach sozialer Diversität und Integration. Bibliotheken, mit Steuergeld finanziert, sollten von und mit den Nutzer*innen entwickelt werden. Daher sind jegliche Beteiligungsprozesse wünschenswert und sicher auch Erfolg versprechend, wenn sich die Nutzer*innen hinterher im gebauten Ergebnis wiederfinden. Hier können die Bibliotheken selbst aktiv werden und schon vor der Hinzuziehung von Planer*innen mit Umfragen, Workshops oder sonstiger Evaluation wichtige Anforderungen und Ergebnisse formulieren, die für die weitere Planung von Belang sind. Vor zehn Jahren hatten wir die Chance an einer wissenschaftlichen Bibliothek den Planungsprozess mit studentischer Unterstützung zu erleben. Das war fantastisch und sehr erfolgreich und zielführend. 

Gibt es kleine Maßnahmen – ohne eine komplette Sanierung – die eine Bibliothek umsetzen kann, um ihr Gebäude nachhaltiger zu gestalten?

Usinger: Komplett nachhaltig wird nicht möglich sein. Unter dem Dreiklang Ökologie, Ökonomie und Soziologie sind zu viele Aspekte vereint, die Nachhaltigkeit nie vollends erzeugen lässt, aber vieles möglich macht. Jede und jeder ist hier aufgerufen, die eigenen Möglichkeiten selbst zu ergründen und umzusetzen. Beim Gebäude stehen das Bauen, der Gebäudebetrieb und der Rückbau im Vordergrund einer Gesamtbetrachtung. Natürlich ist der Tausch der Beleuchtungsanlage auf LED-Technik eine sinnvolle Maßnahme, aber bitte die Lichtfarbe beachten, damit aus dem Dritten Ort kein Kühlschrank wird! Viel effektiver wäre grade bei Bibliotheken der Wechsel zum Open Library Betrieb. Neben der dauerhafteren Nutzung des Gebäudes wird der gesamte Aufwand für den Betrieb und der Energieaufwand, sei es für Wärme oder Licht, auf wesentlich mehr Nutzungsdauer verteilt. Wie oft haben grade Gemeinde- oder Stadtteilbibliotheken nur stundenweise geöffnet. Das gesamte Empowerment und die gebaute graue Energie wird so dauerhafter und nachhaltiger genutzt. Auch von Menschen, die zu den sonst üblichen Öffnungszeiten nie das Gebäude betreten würden.

 

Das Interview führte Lisa Rohwedder, Referentin für Kommunikation und Digitale Medien beim dbv sowie Projektkoordinatorin „Bibliotheksportal“.

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