Bibliotheken und Demokratie

Rolle und Aufgaben von Bibliotheken in der Demokratie

Vor dem Hintergrund vielfältiger Krisen und der weltweiten Erstarkung von nationalistischen und rechtspopulistischen Parteien und Akteuren mit vermeintlich einfachen Antworten gerät unsere scheinbar gefestigte Demokratie zunehmend unter Druck. Als politische Idee im Zeitalter der Aufklärung entstanden, war Demokratie niemals selbstverständlich, sondern musste immer wieder neu ausgestaltet werden. Neu ist angesichts der hohen Zahl an Menschen, die sich von demokratischen Werten abwenden, die Dringlichkeit, sich dafür einzusetzen, Demokratie und Freiheit zu erhalten. Dazu bedarf es der Menschen, die für ihre demokratischen Werte aktiv einstehen. Zugleich bedarf es auch öffentlicher, am Gemeinwohl orientierter Einrichtungen wie Bibliotheken, die auf alle einladend wirken und mit ihren Angeboten an Informationen, Räumen und Veranstaltungen Toleranz und gegenseitiges Verständnis fördern können.

Bereits vor 30 Jahren hat das „IFLA/UNESCO-Manifest für Öffentliche Bibliotheken“ (Englisch / Deutsch) Bibliotheken einen festen Platz bei der Förderung von Demokratie zugewiesen: „Konstruktive Teilhabe und demokratische Entwicklung beruhen auf ausreichender Bildung sowie auf freiem und unbeschränktem Zugang zu Wissen, Ideen, Kultur und Information“. Bibliotheken in Deutschland beziehen sich in ihrem Selbstverständnis auf die Informations- und Meinungsfreiheit des Artikel 5 unseres Grundgesetzes, das seit 75 Jahren die Basis für das Zusammenleben aller Menschen in Deutschland bildet. Sie ermöglichen den freien Zugang zu einem kuratierten politisch, weltanschaulich und religiös ausgewogenen Medienbestand, der ein vielfältiges Spektrum an Meinungen abbildet. Dies bedeutet, dass auch solche Werke angeboten werden, die politisch oder gesellschaftlich kontrovers diskutiert werden. Damit leisten sie einen grundlegenden Beitrag zu einem demokratischen Gemeinwesen.

Unsere Demokratie lebt von der Bereitschaft der Bürger*innen, sich einzubringen und informiert mitzureden. Indem Bibliotheken sie mit ihren Angeboten darin unterstützen, wirken sie an der Gestaltung und Verteidigung einer inklusiven, demokratischen Gesellschaft mit und stärken unsere Zivilgesellschaft. Als niedrigschwellig zugängliche Einrichtungen, die ein hohes Vertrauen in der Bevölkerung genießen, erreichen Bibliotheken breite Bevölkerungsschichten. Dennoch sollten Bibliotheken zusätzliche Wege finden, wie sie auch die Menschen erreichen, die sich von ihren Angeboten bislang noch nicht angesprochen fühlen.

Die Vermittlung von demokratischen Werten in Bibliotheken

Bibliotheksverantwortliche setzen sich vermehrt damit auseinander, wie sie ihre öffentlichen Einrichtungen so positionieren, dass sie ihre politische Mission der Teilhabe erfüllen und zur Förderung einer demokratischen Kultur beitragen können. Dies beginnt bereits bibliotheksintern: Die Arbeitskultur sollte demokratische Werte und gesellschaftliche Vielfalt widerspiegeln und alle Mitarbeitenden sollten sich beteiligen und mitentscheiden können. Das Personal sollte regelmäßig geschult werden, um vielfältige Bibliotheksangebote professionell durchführen zu können.

Immer häufiger werden neue Projekte oder eine veränderte Raumgestaltung in Bibliotheken unter aktiver Beteiligung der Bibliotheksnutzenden erarbeitet.

Die Unterstützung bei der Entwicklung von (digitaler) Medien- und Informationskompetenz durch Schulungen gehört zu den Kernaufgaben von Bibliotheken, die sie häufig in Kooperation mit Schulen anbieten. Entsprechende Angebote entwickeln die Fähigkeit, Desinformation zu erkennen und seriöse Informationsquellen als Faktenbasis kennenzulernen und zu nutzen. Bibliotheken kommt hier die Aufgabe zu, die Komplexität von Informationen für alle verstehbarer zu machen, um sie zum Dialog zu befähigen.

Eine weitere Möglichkeit ist die aktive Vermittlung des Medienbestandes durch Themenausstellungen und Themenführungen zu aktuellen politischen Ereignissen und der Hervorhebung bestimmter Medien. Anregungen zu weiteren Formaten, mit denen Bibliotheken politische Bildung durch Wissensvermittlung und Programmarbeit ermöglichen können, geben z.B. die Bibliotheken in ländlichen Räumen, die sich im Rahmen des Kooperationsprojektes „Land.schafft. Demokratie“ von der Bundeszentrale für politische Bildung und Deutschem Bibliotheksverband e.V. (dbv) engagieren. Neben Diskussionsangeboten mit lokalen Akteuren sind dies auch Argumentationstrainings gegen Stammtischparolen sowie digitale Trainings für Bibliotheksmitarbeitende, um sie für die demokratiestärkende Bibliotheksarbeit weiterzubilden. Auch im Projekt „Netzwerk Bibliothek Medienbildung“ des dbv wird u.a. die Durchführung von Aktivitäten gegen Desinformation oder Hate Speech vermittelt. Das Kooperationsprojekt #dubisthier der Hamburger Bücherhallen und ichbinhier e.V. setzt sich dafür ein, besser mit Hass im Netz umgehen zu können.

Vor der diesjährigen Europawahl bieten einige Bibliotheken jungen Menschen im Rahmen des Projektes U16/U18-Wahl an, ihre Stimme dort abzugeben. Dieses Projekt möchte zeigen, dass junge Menschen, obwohl sie offiziell noch nicht wählen dürfen, sich eine eigene Meinung bilden können. In den USA informieren Bibliotheken vor Wahlen nicht nur über die Verfahren, sondern veröffentlichen auch entsprechende Literaturlisten, beleuchten mit Podiumsdiskussionen aktuelle kontroverse Themen und motivieren zur Wahlbeteiligung. In manchen Städten übertragen lokale Radiosender tagespolitische Themengespräche aus den Räumlichkeiten der Bibliothek. Auch für Laien verständliche Fachvorträge zu aktuellen politischen und rechtlichen Themen werden in Bibliotheken für ein breites Publikum organisiert.

Als Orte, denen ein hohes Maß an Vertrauen entgegengebracht wird, können Bibliotheken einen fairen Meinungsaustausch aktiv fördern. Bei Diskussionsveranstaltungen zu aktuellen gesellschaftlichen Themen können Menschen erfahren, dass ihre Meinung zählt. Auch Lesekreise, die sich in Bibliotheken über Bücher zu politischen und gesellschaftlichen Themen austauschen, vermitteln dies.

Solche Angebote dienen dazu, grundlegende Fähigkeiten für eine funktionierende Demokratie (wieder) zu entwickeln wie: Ergebnisoffen unterschiedliche Ansichten in einen Raum zu versammeln, einander zuzuhören, um die jeweils andere Position zumindest nachvollziehen zu können und schließlich, falls notwendig, gemeinsam Lösungen zu entwickeln. In Dänemark wird ein entsprechendes „Democracy Fitness Training“ auch in den Bibliotheken durchgeführt. In Skandinavien ist die Rolle der Bibliothek als Förderin des bürgerschaftlichen Engagements und Unterstützerin der Demokratie gesetzgeberisch ausdrücklich verankert. Bibliotheken haben sich dort als Arenen der öffentlichen Debatte positioniert.

Damit stärken Bibliotheken zusammen mit verschiedenen Partnern die Dialogkultur und die Demokratiebildung und werden immer mehr auch als Ort der politischen Bildung wahrgenommen.

Aktuelle Entwicklungen und Angriffe auf Bibliotheken

Zunehmend werden dabei berufliche Haltungen und Einstellungen herausgefordert. Bibliotheken sind zwar parteiübergreifend und politisch neutral tätig, waren jedoch niemals wertneutral. Stets bewegen sie sich auf dem Boden des Grundgesetzes und sollten daher entsprechend Position beziehen. Bei der Abwägung zwischen professionellen Wertvorstellungen über die Informationsfreiheit einerseits und der Offenheit gegenüber und Einbeziehung aller gesellschaftlichen Gruppen und Meinungen andererseits werden mitunter schwierige Entscheidungen notwendig. Auch gilt es, sich vor politischer Einflussnahme jeder Art zu schützen, unabhängiges Handeln zu beanspruchen und den offenen Bibliotheksraum zu verteidigen.

Die Frage nach dem bibliothekarischen Umgang mit umstrittenen Werken hat in den letzten Jahren eine zunehmende Relevanz erfahren. Immer häufiger sind Bibliotheken selbst von Angriffen betroffen und müssen entsprechend reagieren. Schon im Vorfeld sind Bibliotheksmitarbeitende daher gefordert, gemeinsam eine starke und fundierte Haltung sowie Resilienz zu entwickeln. Die Stellungnahme des dbv zu „Bibliotheken und Demokratie“ bietet hierfür eine gute Grundlage.

Vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen sollte die demokratiefördernde Bibliotheksarbeit nicht nur weiter gestärkt, sondern auch in ihren Wirkungsgrenzen erweitert werden, um auch die Menschen zu erreichen, die bisher nicht erreichen werden konnten. Dies kann vor allem durch den weiteren Ausbau von Kooperationen mit Schulen, Gewerkschaften und anderen Einrichtungen der Zivilgesellschaft erfolgen, um die Sichtbarkeit und Nutzung ihrer Angebote weiter zu erhöhen.

Bibliotheken stehen in einer langen Tradition der Aufklärung und des lebendigen Dialogs. Sie tragen mit ihren Angeboten dazu bei, die Aneignung von Wissen über Themen unserer Vergangenheit und Gegenwart zu unterstützen. Als konsumfreie öffentliche Orte können sie ihren ganz eigenen Beitrag dazu leisten, dass aus den tiefen Rissen in unserer Gesellschaft keine unüberwindbaren Gräben entstehen.

Redaktion und Kontakt
Text
Barbara Schleihagen

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