Fahrbüchereien in Schleswig-Holstein

In Schleswig-Holstein sollen Fahrbüchereien zentrale Orte des dörflichen Lebens werden und das lokale Miteinander stärken. Dank einer Förderung der Kulturstiftung des Bundes im Rahmen ihres Programms „hochdrei – Stadtbibliotheken verändern“ entwickelt der Büchereiverein Schleswig-Holstein in den nächsten zwei Jahren ein innovatives Zukunftskonzept. Ein Gespräch mit Kathrin Reckling-Freitag.

Kathrin Reckling-Freitag: Wir möchten die Fahrbibliotheken fit für die Zukunft machen, sie neu aufstellen. Wir möchten, dass sie ein mobiler Dritter Ort werden, dass sie an einem zentralen Punkt im Ort halten, dort statt nur 15 bis 30 Minuten mehrere Stunden bleiben und einen Dorfmittelpunkt, einen Treffpunkt bilden, an dem es neben der Ausleihe noch viele weitere Angebote gibt: Veranstaltungen, Beratungen, vielleicht auch die Möglichkeit, dass sich die Leute dort zum Kaffee treffen – und damit dann die Dorfmitte beleben. Das ist unsere Vision.

Kathrin Reckling-Freitag: Wir haben in Schleswig-Holstein 13 Fahrbibliotheken, die den ländlichen Raum mit Literatur, Medien und Informationen versorgen. Diese Fahrbibliotheken sind in Dörfern unterwegs, die so klein sind, dass sie über keine Standbüchereien verfügen. Sie sind alle bei der Büchereizentrale angegliedert und werden gemeinsam von Kommunen, den Kreisen und dem Land getragen.

Sie fahren bislang immer von einer Haltestelle zur anderen, bleiben überall 15 bis 30 Minuten stehen und ziehen dann zur nächsten Haltestelle weiter.

Wie in anderen Bibliotheken gehen auch in den Fahrbüchereien die Ausleihzahlen zurück, und deswegen überlegen wir, wie wir die Angebote modernisieren können: Wie sehen die Angebote der Zukunft aus? Wie sieht Dorfleben überhaupt in Zukunft aus? Das ist ja gerade dabei, sich sehr zu verändern. Die Dörfer sind, wenn sie in der Nähe großer Städte sind, oft schon Schlafdörfer geworden. Dieser Trend ist jetzt ein bisschen gebremst, und die Fahrbibliothek soll mit dazu beitragen, die Lebensqualität in den Dörfern zu erhöhen. Wir möchten zusammen mit den Bürger*innen vor Ort Konzepte entwickeln, die widerspiegeln, was sie sich wünschen.

Kathrin Reckling-Freitag: Am besten sage ich erst einmal etwas zu den MarktTreffs, die jenseits von Schleswig-Holstein vermutlich nicht so bekannt sind: Die MarktTreffs sind ein Programm, das vom Ministerium für Inneres, für ländliche Räume, Integration und Gleichstellung des Landes Schleswig-Holstein zur Belebung ländlicher Räume eingerichtet worden ist. Dörfer, die keine Infrastruktur, z. B. keinen Kaufmann, mehr haben, können Fördermittel beim Land beantragen, um wieder eine solche Infrastruktur aufzubauen. Dann wird z. B. im Dorfzentrum ein Gebäude gekauft, in das ein Kaufmann und noch viele andere Angebote hineinkommen.
Der Hauptpunkt ist so ein kleiner Laden, der oft mit ganz normalen Einzelhändler*innen betrieben wird, aber auch oft mit Bürger-genossenschaften, d. h. Bürger*innen tun sich zusammen und betreiben gemeinsam diesen kleinen Laden. Verwaltet wird das Ganze von einer Agentur, die den Projekten beratend zur Seite steht. Und das sind unsere Partner, d. h. wir gehen mit den Fahrbüchereien ganz bewusst verstärkt in Dörfer, die bereits MarktTreffs haben oder wo gerade neue entstehen.

Auch unsere fünf Pilotgemeinden sind Dörfer, die bereits solche MarktTreffs haben, damit die Fahrbücherei dort schon einmal einen Punkt zum Andocken hat.

Unser zweiter Partner ist der Landesverband der Volkshochschulen (VHS) in Schleswig-Holstein. Er ist für uns ein ganz wichtiger Türöffner, um Kontakte zu den VHS herzustellen und gemeinsam mit diesen darüber nachzudenken, wie VHS auf dem Land etabliert werden können. Unsere fünf Pilotgemeinden sind alles Gemeinden, die zu klein für eine eigene VHS sind. Deswegen müssen wir da eine Ebene höher gehen und gucken, welche VHS in der Nachbarschaft sind. Oder eben, wie kreisweit die Angebote der VHS für die Dörfer aussehen. Die Arbeitsgemeinschaft der VHS im Kreis Rendsburg-Eckernförde plant z. B. gerade ein Projekt zum Thema Grundbildung (digitale Grundbildung, Konsumbildung, Alphabetisierung), das in die Fläche gehen soll – und das trifft sich hervorragend mit unserem Vorhaben, Angebote, auch Veranstaltungs- und Fortbildungsangebote, in die Dörfer zu tragen.

Kathrin Reckling-Freitag: Wir sind im regen Austausch miteinander. Wir haben gemeinsame Treffen oder Videokonferenzen, wo wir uns gegenseitig über Neuerungen informieren und Stück für Stück unser Programm durcharbeiten. Wir haben ja jetzt den Prozess der Bürgerbeteiligung vor uns, an dem die Partner natürlich intensiv beteiligt sind. Sie werden u. a. an den Zukunftswerkstätten teilnehmen, um ihre Ideen mit hineinzugeben und dann gegebenenfalls Informationen an ihre Partner zu transportieren.

Bei den MarktTreffs zum Beispiel brauchen wir natürlich Kontakte zu Bürgermeister*innen, zu Markttreff-Betreiber*innen, zu engagierten Bürger*innen im Dorf. Die Agentur, die das Projektmanagement für die MarktTreffs betreut, kennt sich extrem gut in den Dörfern aus und vermittelt uns dafür die entsprechenden Kontakte.

 

Kathrin Reckling-Freitag: Wir haben natürlich eine ungefähre Idee, wo es hinlaufen kann – das war ja notwendig für den Antrag, aber die konkrete Ausgestaltung, die machen wir zusammen mit den Bürger*innen und den Politiker*innen, d. h. den Bürgermeister*innen und Gemeindevertreter*innen der Dörfer.

Der Kickoff zu den Veranstaltungen ist für den Herbst geplant. Dabei wird es vor allem darum gehen, die Leute erst einmal abzuholen und zu erklären, worum es geht, was wir mit dem Begriff „Dritter Ort“ meinen, dann den Prozess bzw. den Projektablauf vorzustellen und vielleicht auch schon erste Ideen gemeinsam im Gespräch zu entwickeln.

Danach werden wir in den fünf Pilotgemeinden sogenannte Satellitenkonferenzen anbieten, um die Bürger*innen dort schon einmal zu informieren und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Vielleicht formieren sich aus diesem Kreis bereits Bürger*innen, die dann auch am Prozess teilnehmen.

Im Anschluss wird es zwei Zukunftswerkstätten geben: Der erste Teil ist für den kommenden Januar geplant – da wird dann aus jeder Gemeinde ein Vertreter mit Amt und ein Bürger ohne Amt eingeladen, so dass wir auch die Ideen von Bürger*innen, die nicht in der Gemeindevertretung sind, einbeziehen können. Der zweite Teil der Zukunftswerkstatt soll im April stattfinden.

Als Prozessbegleitung haben wir sowohl für den Kickoff als auch für die Zukunftswerkstätten Andreas Mittrowann gewinnen können, der die Moderation übernehmen wird. Und in den Zukunftswerkstätten wird dann Aat Vos mit dabei sein, der dort über das Thema Dritte Orte informieren wird.

In der Zeit zwischen den Zukunftswerkstätten wird es schließlich auch Umfragen an alle Haushalte in den fünf Pilotgemeinden geben, die sowohl an diejenigen, die schon Nutzer*innen der Fahrbücherei sind, gehen, als auch an diejenigen, die es noch nicht sind.

All diese Informationen werden dann in den Prozess der Entwicklung der neuen Konzepte eingehen. Von April bis Juni überlegen wir dann, was wir mit den vielen tollen Ideen und dem Input machen.

Kathrin Reckling-Freitag: Ich fange mal mit dem Positiven an: Alleine der Antrag bei der Kulturstiftung hat hier schon so viel bewegt, auch bei den anderen Fahrbüchereien sind die Ideen und Diskussionen auf fruchtbaren Boden gestoßen, so dass sich da auch schon Vieles verändert hat, z. B. wurden Fahrpläne umgestellt, das Angebot erweitert etc.. Das hat mich sehr positiv überrascht.

Sehr bereichernd ist auch die Kooperation mit unseren Partnern – ob mit den MarktTreffs oder den Volkshochschulen. Das hat auch in anderen Bereichen schon viel angestoßen.

Die größte Herausforderung ist es, ein Projekt zu managen, bei dem man nicht weiß, was dabei herauskommt. Wir haben bei der Kulturstiftung des Bundes Mittel für die Umsetzung der neuen Konzepte beantragt, von denen wir einfach nicht wissen, wo sie uns am Ende hinführen, das ist eine echte Herausforderung, und es ist auch nicht immer einfach, das den einzelnen Leuten zu vermitteln.

Redaktion und Kontakt

Das Interview führte Sophie Zue am 01. Oktober 2020.

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