„Bibliothek ist ein toller Ort, an dem Menschen sein können, wie sie sind.“

Ein Interview mit Britta Schmedemann

Britta Schmedemann sitzt an einem Tisch in einem Raum. Links von ihr sitzt ein Mann mit schwarzer Hautfarbe, rechts eine Frau mit weißer Hautfarbe und im Rollstuhl. Im Hintergrund sind weitere Personen zu sehen.Britta Schmedemann studierte Bibliotheks- und Informationsmanagement und leitete zwei Bibliotheken. Seit 2013 arbeitet sie in der Stadtbibliothek Bremen als Spezialistin für bibliothekarische Zielgruppenarbeit, was 2019 erweitert wurde zur Diversity Managerin.

Was genau sind Ihre Aufgaben als Diversity Managerin?

Britta Schmedemann: Eine wichtige Aufgabe ist es, neue Zielgruppen zu gewinnen und gleichzeitig die bisherigen Gruppen nicht zu verlieren. Wir überlegen: Wer kommt noch nicht in die Bibliothek, wen erreichen wir und warum? Dann schauen wir, welche Bedürfnisse unterschiedliche Menschen haben und was wir gemeinsam mit ihnen verändern können, damit sie gerne in die Bibliothek kommen und sich dort wohlfühlen.

Eine weitere wichtige Aufgabe ist das Netzwerken zu den einzelnen Diversity Dimensionen wie kulturelle und soziale Herkunft, geistige und körperliche Fähigkeiten, Queerness, Weltanschauung und Alter. Ich halte Kontakt zu unterschiedlichen Initiativen und Vereinen in der Stadt, mit der Verwaltung, arbeite an Runden Tischen und in Gremien mit. Über diese Arbeit erfahre ich viel über die Bedürfnisse unterschiedlicher Gruppen, kann uns als potenziellen Partner einbringen und neue Kontakte knüpfen. Je mehr unsere Arbeit in der Stadt bekannt ist, desto mehr Vereine und Kooperationspartner kommen auf uns zu.

Diversity ist in der Stadtbibliothek Bremen ein Querschnittsthema. Das bedeutet, alle fühlen sich zuständig, bringen Ideen ein und setzen sie um. Als Diversity Managerin sehe ich mich als Dienstleisterin, um Angebote und Zielgruppen zusammenzubringen. Und ich achte dabei auch darauf, dass wir keine Diversity-Dimension aus dem Blick verlieren.

Wichtig ist mir zu betonen, dass Diversity nicht nur Interkultur bedeutet. Es gibt ja viel mehr Dimensionen, die wir alle versuchen, in der Bibliothek im Blick zu behalten und bei unseren Angeboten einzubeziehen.

Wie sind Sie zum Themenfeld Diversity gekommen und welche Möglichkeiten zur Qualifizierung gibt es in dem Bereich?

Britta Schmedemann: Mein Zugang zum Thema ist über die Jahre gewachsen. Als ich Anfang der 2000er Jahre studiert habe, spielte das Thema noch gar keine Rolle. Anschließend habe ich eine Bibliothek in einer Stadt mit 30.000 Einwohner*innen geleitet. Da habe ich zum ersten Mal Feuer gefangen, als ich merkte, welch ein großer Gewinn Kooperationen und Netzwerkarbeit für die Bibliothek sind. Meine Stelle in Bremen hatte zunächst den Schwerpunkt „Zielgruppenarbeit“. Dabei ging es darum, gezielt Gruppen anzusprechen und zu schauen, wen die Bibliothek noch nicht erreicht. Das wurde dann, nicht zuletzt auch durch das Programm 360° der Kulturstiftung des Bundes und die damit verbundene befristete personelle Verstärkung durch eine Diversity Managerin, um weitere Diversity-Dimensionen ausgebaut zum Diversity Management. Wir sind hier mit den Jahren als Bibliothek gewachsen und haben den Bereich nach und nach weiterentwickelt.

Als ich meine Stelle angetreten habe, gab es noch keine Fortbildungen zum Thema Diversity. Der Blick war noch nicht auf die gesamte Gesellschaft gerichtet, sondern vor allem auf das Thema Migration. Mittlerweile gibt es aber sehr gute Informations- und Fortbildungsangebote zum Thema Diversity. Daran wird auch sichtbar, dass der Bereich wächst und an gesellschaftlicher Relevanz gewinnt. Ein sehr guter Zugang war für mich auch unsere Inhouse-Schulung zur Diversity-Kompetenz, die für alle Mitarbeitenden verpflichtend ist. Zusätzlich lerne ich vor allem viel von den Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten, sowohl in unseren Teams als auch von externen Partner*innen.

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den Kolleg*innen im Haus? Arbeiten Sie mit allen Abteilungen zusammen? Und wie gehen Sie mit Widerständen um?

Britta Schmedemann: Aus meiner Arbeit mit den Zielgruppen ergeben sich viele Bedürfnisse und Wünsche unserer Besucher*innen. Das reicht von der Aufenthaltsqualität, über den Bestandsaufbau bis hin zu der Möglichkeit einen Computer zu bedienen. Diese Wünsche bespreche ich mit den unterschiedlichen Teams im Haus. Diversity ist ein echtes Querschnittsthema und es gibt eigentlich kein Team, das diesem Thema dauerhaft aus dem Weg gehen kann. Unsere Belegschaft ist zum Glück sehr offen und interessiert. Dadurch kommen die Impulse nicht nur von mir, sondern auch von Kolleg*innen aus den verschiedensten Bereichen.

Natürlich gibt es auch Widerstände und Bedenkenträger*innen. Aber bisher konnten sich immer ausreichend Kolleg*innen begeistern, um neue Ideen oder Angebote realisieren zu können. Einige Themen sind ja sehr neu und deswegen braucht es auch Zeit, ein Verständnis dafür zu entwickeln. Manchmal ist es nicht möglich, alle gewünschten Änderungen sofort umzusetzen. Aber dann finden wir als Team einen Kompromiss und das ist immer besser als gar nichts umzusetzen oder zu verändern. Das Themenfeld Diversity ist insgesamt ständig im Wandel und auch wir in der Bibliothek lernen laufend dazu.

Haben Sie ein konkretes Beispiel für Widerstände, die entstehen?

Britta Schmedemann: Für echten Widerstand habe ich gerade kein Beispiel. Aber mir fällt eine Situation ein, als wir ein neues Angebot einführen wollten. Es ging darum, CD- und tragbare DVD-Player zum Ausleihen anzubieten. Die Idee entstand, als viele Geflüchtete unsere Bibliotheken nutzen wollten, sie aber weder CD- noch DVD-Player besaßen, um beispielsweise mal einen Film ansehen zu können oder die Sprachlehrprogramme zu nutzen. In den Teams stellten sich dann verschiedene Fragen: Wie katalogisiert man einen CD-Player? Und in welcher Form können wir ihn verleihen, müssen wir z.B. die Batterien mitliefern? Ist es hygienisch Kopfhörer auszuleihen? Das sind also ganz pragmatische Bedenken, die hier geäußert wurden und die Frage: Steht der Nutzen im Verhältnis zum Aufwand? Gerade, wenn man selbst nicht in der Situation ist, keinen CD- oder DVD-Player zu haben, fällt es manchmal schwer, sich den Vorteil eines solchen Angebotes vorzustellen. Aber als Bibliothek haben wir die Chance, durch diesen „Aufwand“ allen Menschen Teilhabe zu ermöglichen. Solche vermeintlich kleinen Dinge wie CD- oder DVD-Player zum Ausleihen anzubieten können eine große Wirkung haben und Menschen signalisieren: Wir achten auf eure Bedürfnisse und ihr seid willkommen. Und letztendlich zeigte sich, dass dieses Angebot auch von anderen Gruppen begeistert angenommen wurde, beispielsweise von Studierenden, die wegen der vielen Streamingdienste keinen CD-Player mehr besitzen. Oder von Familien, die auf dem Weg in den Urlaub eine lange Autofahrt mit einem Film und dem tragbaren DVD-Player für ihre Kinder erträglicher machen wollen.

Diversity bedeutet nicht, es allen Leuten recht zu machen, sondern allen einen Zugang zur Bibliothek zu ermöglichen. Die positiven Auswirkungen auf die Gesellschaft sind in Statistiken meist nicht sichtbar. Sichtbar machen kann man aber, dass wir neue Kundenkreise gewinnen und dadurch mehr Menschen in die Bibliothek kommen. Das schlägt sich auch in den Bibliotheksstatistiken nieder, die ja für die Politik immer noch sehr wichtig sind.

Was empfehlen Sie Kolleg*innen, die sich für das Themenfeld interessieren?

Britta Schmedemann: Vernetzung! Das ist für mich das A und O und zwar in alle Richtungen: In der Bibliothekswelt, z.B. in einer Kommission, in der eigenen Kommune und der lokalen Verwaltung, z.B. mit dem Integrationsamt und den lokalen Beauftragten für die unterschiedlichen Gruppen. Man kann an runden Tischen teilnehmen sowie sich und die Bibliothek bei verschiedenen Vereinen und Initiativen vorstellen. Ganz wichtig ist auch die Vernetzung innerhalb der eigenen Bibliothek, um dort mit den unterschiedlichen Abteilungen und Teams zusammenzuarbeiten. Auch wenn man in einer kleinen Bibliothek arbeitet, ist es wichtig, das Kollegium für das Thema zu gewinnen. Nur wenn alle mitmachen, kann man eine gemeinsame Haltung entwickeln.

Regelmäßige Fortbildungen helfen mir am Ball zu bleiben, denn es ist sehr viel im Wandel, was z.B. das Wording angeht, also wie möchten Menschen benannt werden, welche Dimensionen der Diversity gibt es und so weiter. Mit dem Thema ist man nie fertig und es ist wichtig, auf dem Laufenden zu bleiben.

Ein weiterer Tipp ist, Geduld und Ausdauer zu haben. Manchmal hilft es, eine Politik der kleinen Schritte zu verfolgen.

Und zu guter Letzt kann man aus der Netzwerkarbeit viel Kraft schöpfen. Man bekommt neue Impulse, kann sich gemeinsam für Ziele einsetzen und es auf verschiedenen Wegen mehrmals versuchen – als Einzelkämpfer*in kommt man nicht weit.

Diversity Manager*innen gibt es mittlerweile in vielen Branchen. Was ist das Besondere an der Arbeit in einer Bibliothek?

Britta Schmedemann: Über das Programm 360° der Kulturstiftung des Bundes, an dem wir teilnehmen, bekam ich zum ersten Mal ein Gefühl für den Unterschied zu anderen Kultureinrichtungen. Als Bibliothek haben wir einen ganz großen Vorteil, wenn es um Diversity und die Öffnung unserer Einrichtung geht: Bibliotheken wenden sich an die gesamte Gesellschaft, das wird nicht zuletzt auch von der Politik so gefordert. In alle Bibliotheken kann man reingehen, ohne etwas Konkretes zu wollen. Wir müssen nur die Zugänge für alle ermöglichen und die Angebote so gestalten, dass man richtig Lust bekommt, Teil der Bibliothek zu sein. Von Theatern höre ich beispielsweise oft die Bedenken, dass das zahlungskräftige Publikum wegbleibt, wenn sie sich mehr öffnen und niedrigschwelligere Angebote anbieten. Insofern haben wir als Bibliotheken hier eine super Ausgangsituation, denn wir sind schon sehr niedrigschwellig UND erreichen alle Gesellschaftsschichten. Was uns in Bibliotheken häufig fehlt, sind vielfältige Perspektiven, um die Bedarfe einer vielfältigen Gesellschaft zu erkennen. Das hat auch damit zu tun, dass wir in der Belegschaft häufig noch zu homogen besetzt sind.

Ein weiterer Vorteil von Bibliotheken: Sie haben ein sehr positives Image und haben sich in vielen Städten und Kommunen als verlässlicher Kooperationspartner etabliert. Und Bibliotheken gelten als vertrauenswürdig. Dass sie nichts verkaufen wollen, ist ein großer Türöffner. Man muss keine bestimmte Vorbildung mitbringen, um sich in einer Bibliothek wohlzufühlen. Bibliothek ist ein toller Ort, an dem Menschen sein können, wie sie sind. Das ist eine großartige Ausgangslage, wenn man Diversity Management machen möchte.

Sie haben sich neben Ihrer Arbeit ehrenamtlich in der dbv-Kommission „Interkulturelle Bibliotheksarbeit“ engagiert, die inzwischen „Bibliotheken und Diversität“ heißt. Was hat Sie daran gereizt?

Britta Schmedemann: Ich habe mich eingebracht, um dem Thema auf Bundesebene noch mehr Gewicht zu geben. Während der Arbeit in der Kommission habe ich gemerkt, dass wir über den dbv wichtige Impulse geben können, auch für kleinere Bibliotheken. So müssen nicht alle das Rad neu erfinden, sondern können Konzepte und Ideen aufgreifen, die auch mit wenigen Ressourcen schnell umsetzbar sind.

Mich bundesweit mit anderen Bibliotheken zu vernetzen war ebenfalls total spannend. Wir haben nicht nur Ideen ausgetauscht, sondern auch über Probleme gesprochen, die bei bestimmten Themen auftreten. Auch die internationale Vernetzung habe ich sehr geschätzt. Durch die Kommissionsarbeit kann man in so viele Richtungen über den Tellerrand schauen. Das kann ich allen nur empfehlen!

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Lisa Rohwedder am 21. Januar 2022.

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